Case of the week
Sturz auf das Gesicht
– nur eine oberflächliche Wunde oder ein weiterführendes Problem?
Das Sportevent ist beinahe schon zu Ende. Der Ruf ertönt, im Eingangsbereich sei eine Person gestürzt. Das ausrückende Team findet die betroffene Person rasch auf. Sie entscheiden, dass ein Transport ins nahe gelegene Sanitätszimmer möglich und zweckmässig ist.
Im Sanitätszimmer eingetroffen, übergeben sie die betroffene Person an den Dienst tuenden Sanitäter. Der Betroffene ist männlich, über 50 Jahre alt und wirkt alkoholisiert. Die Antworten auf die Fragen des Sanitäters sind inhaltlich richtig, wirken aber verlangsamt. Im Gesicht sind mehrere frische Schürfwunden ersichtlich.
In dieser Situation geht es uns primär darum zu erkennen, ob die oberflächlichen Schürfwunden die einzigen gesundheitlichen Probleme darstellen oder ggf. weitergehende und schwerwiegendere Probleme vorliegen. Könnte er infolge Rhythmusstörungen des Herzens gestolpert sein? War er bewusstlos, bzw. muss von einem relevanten Schädel-Hirn-Problem ausgegangen werden?
Eine solche Beurteilung ist häufig nicht einfach. Die Alkoholisiertheit des Betroffenen ist zusätzlich erschwerend. Unter Supervision eines weiteren Sanitäters wird schliesslich der Entscheid gefällt, dass keine ausreichenden Verdachtsmomente für ein weitergehendes Problem erkannt werden können. Der Betroffene weiss überzeugend zu erklären, was geschehen ist. Er ist zum Zeitpunkt der Untersuchung sog. allseits orientiert (d. h. er weiss, wer er ist, wo er sich aktuell aufhält, welcher Tag heute ist und was er hier macht). Mit Ausnahme leichter Schmerzen im Gesicht ist er symptomfrei (keine Übelkeit, kein Schwindel, keine anderen Symptome). Und – last but not least – wirkt er auch nicht erpicht darauf, weiterführende Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Gerade letzterer Punkt ist zusätzlich erschwerend. Grundsätzlich ist der freie Wille des Patienten zu respektieren. Einzig wenn der Betroffene nicht urteilsfähig ist, bspw. wg einer Verwirrtheit infolge Sturz auf den Schädel, kann im mutmasslichen Sinne des Patienten gehandelt und bspw. eine Hospitalisation mittels Rettungsdienst erzielt werden. Und weil wir in diesem Fall der Meinung sind, dass der Betroffene urteilsfähig ist, verzichten wir auf seinen Wunsch hin auf weiterführende diagnostische Massnahmen und versorgen einzig noch seine oberflächlichen Wunden. Der guten Ordnung machen wir ihm vor der Verabschiedung darauf aufmerksam, dass er bei einer Zustandsverschlechterung sogleich mit einer medizinischen Fachperson in Kontakt treten soll.